Alwis Welt

Die nordische Mythologie

Die nordgermanische Götter-, Helden- und Schöpfungsmythologie wurde uns in erster Linie über die nordische Mythologie, vor allem über die Lieder- und Snorra-Edda überliefert. Als Mythologie Norwegens zählt sie zur Obergruppe der Skandinavischen Mythologie. Wie häufig vermutet, gibt die nordische Mythologie jedoch nicht die Mythen aus urgermanischer Zeit wieder, sondern "nur" die westnordischen Mythen des Mittelalters, nachdem sie von den Dichtern (Skalden) bearbeitet und niedergeschrieben wurden. Die Schöpfungsmythen der Edda-Literatur stellen daher literarisch den Endpunkt der Entwicklung des westnordischen Zweiges der nordgermanischen Völker dar. Die übrigen Überlieferungen der germanischen Völker auf dem Kontinent sind bis auf wenige Zeugnisse verloren gegangen. Die nordische und die gemanische Mythologie sind damit also nicht komplett deckungsgleich, überschneiden sich aber auf vielfältige Art und Weise.

Eine der bedeutendsten handschriftlichen Überlieferungen der vorchristlich-nordischen Mythologie ist die Lieder-Edda, aus der auch das Alwis-Lied (Alvissmál) stammt. Wie schon auf der Seite Die Edda erwähnt, existieren von den vermutlich über tausend Jahre alten Liedern bis heute isländische Pergamenthandschriften aus dem 13. Jahrhundert.


Ein faszinierender Kosmos

Der aus nicht weniger als neun Welten und zahlreichen Figuren bestehende Kosmos der nordischen Mythologie ist schillernd, phantastisch und faszinierend zugleich. Sein Grundtenor jedoch ist tief pessimistisch (vorbestimmter Untergang der Welt und Tod der Götter im Ragnarök), auch wenn in den Erzählungen vor allem die Götter als so menschlich geschildert werden, dass sie und ihre Handlungsweisen nicht nur äußerst unterhaltsam, sondern teilweise auch komisch wirken. 

Da gibt es die Göttergeschlechter der bösen Riesen (Jöten/Joten) und Ungeheuer, die als erstes auf die Welt kamen und die die Macht haben, die Welt zu vernichten. Damit dies nicht passiert, wurden die Wanen und Asen geschaffen. Sie halten alles im Gleichgewicht, bis das Schicksal der Götter im finalen Kampf erfüllt wird: hier kommt es zu einem Krieg zwischen den Riesen und dem Asen-Wanen-Bund, dem sich die gefallenen Menschenkrieger anschließen und in dem die ganze Welt schließlich vernichtet wird, um wiedergeboren zu werden.

Die Wanen, das zweitälteste Geschlecht, gelten in der nordischen Mythologie als Fruchtbarkeitsgötter. Sie werden als äußerst geschickt, erdgebunden und weise verehrt und leben ewig, sofern sie nicht erschlagen werden. Die Asen, das jüngste Geschlecht, sind äußerst mutig und stark, aber nicht sehr klug. Ihr ewiges Leben verdanken sie einem Trunk, der sie gewissermaßen von den Wanen abhängig macht.

Odin (Wodan), der höchste Gott, sowie sein Sohn und Donnergott Thor (s.u.), gehören zu den Asen. Zu dieser Göttergruppe zählen auch Balder, Heimdall, Bragi und Ullr. Frigg (Odins Frau), Siv (die Frau Thors), und Idun sind Wanen. Daneben gibt es noch Nornen, Folgegeister und Walküren. Sie alle haben ihre Aufgabe und Rolle in der sozialen Weltordnung wie auch bei der Beschreibung von Naturereignissen. Die Nornen Urd, Verdandi und Skuld spinnen den Lebensfaden eines jeden Menschen. Die Folgegeister sind Geister, die die Menschen begleiten, die Walküren Odins Sendboten. Außerdem beleben weitere Wesen wie die Zwerge, Elfen und Geister die Natur.

Die Jöten (Riesen) sind die Hauptwidersacher der Asen. Sie symbolisieren die unbeherrschbaren Naturkräfte. Ihr Stammvater war der Urriese Ýmir, der der Urgrund der geschaffenen Welt war. Als Odin Ýmir tötete, entstanden aus seinem Blut Bäche, Flüsse und das Meer, aus seinen Knochen wurden die Steine, sein Fleisch die Erde und seine Haare das Gras und der Wald. Sein Schädel ist das Himmelsgewölbe.

Die ersten Menschen, Ask und Embla, wurden jedoch von Odin erschaffen. Zu dem anderen Göttergeschlecht der Wanen gehören Freyr und Freya sowie deren Vater Njörðr, der in Wanaheim aufgewachsen ist.

In den nord-germanischen Sprachen gehen bis heute viele Bedeutungen und Traditionen auf die nordische Mythologie zurück. So entstand im 4. Jahrhundert die Siebentagewoche, in der der Montag im Germanischen sinnbildlich vom Mond vertreten wurde. Der Kriegsgott Ziu stand für den Dienstag, Wodan (Odin) war das Gegenstück zu Merkur für den Mittwoch, und Thor (Donar), der Donnergott, vertrat den Donnerstag. Frigg, Odins Frau, stand für den Freitag, und für den Samstag wählte man nach langer Überlegungen Loki: für den Saturnstag wurde vorerst kein Vertreter gefunden, als dann aber Saturn mit Satan gleichgesetzt wurde, kam man auf Loki als Vertreter. Der Sonntag schließlich steht für die Sonne, sodass die Woche bildlich vom Mond und der Sonne umschlossen werden. Auch sie haben in der nordischen Mythologie göttliche Vertreter, die Sonnengöttin Sól und deren Bruder, den Mondgott Máni.


Die nordische Mythologie und seine Figuren in "Alwis der Zwerg"

In einem Kinderbilderbuch den oben angedeuteten, komplexen Kosmos der nordischen Mythologie auch nur ansatzweise vorstellen zu wollen, wäre wohl ein ziemlich unsinniges Unterfangen. Dennoch können die Kinder in meiner Erzählung "Alwis der Zwerg" einen kleinen, stimmigen Einblick in diesen großartigen Kosmos gewinnen. Mit Odin, Thor, Thrud und Hermodur lernen sie die wichtige Welt der herrschenden Götter (Asen) kennen, die in Asgart leben, und mit Alwis, dem Zwergenmädchen Lioba und den anderen Freunden die geheimnisvolle Welt der Zwerge (Schwarzalben), die in Schwarzalbenheim ihre Heimat haben. Mittler dieser beiden Welten in "Alwis der Zwerg" ist der Götterbote Hermodur, der wie in den eddischen Quellen auf dem achtbeinigen Pferd Odins reitet. Abgesehen von den Ereignissen des Alwis-Liedes, das natürlich gekürzt, aber verständlich und werktreu wiedergeben wurde, ist die Rahmenhandlung frei erfunden.

Svartálfheimr

... wird auch Schwarzalbenheim genannt und ist nach der Snorra-Edda das Zwergenreich. Angesiedelt ist es in der unterirdischen Welt des Weltenbaumes, zwischen Midgard (Mittelerde) und der Totenwelt Hel. Wie die Elfen (Elben/Lichtalben), so gehören auch die mit unterschiedlich guten und bösen Eigenschaften beschriebenen Zwerge (Schwarzalben) zu dem Geschlecht der Alben. Im heutigen Sprachgebrauch taucht diese Bezeichnung noch im Wort Albtraum auf, früher auch als "Albdruck" bekannt - früher ging man davon aus, dass ein Alb auf der Brust des Träumenden sitzt und diesen beengt. Mehr zu den Zwergen der Edda gibt es auf der Seite Über Zwerge zu lesen.

Asgard

... ist der Sitz der Götter (Asen). Die Asen herrschen über die Welt und die Menschen, allerdings beschränkt durch das Schicksal, das nur die Nornen im vollen Umfang kennen. Die kriegerischen Gottheiten (s.o.) sind weitgehend vermenschlicht, haben also einen irdischen Alltag, und sind wie die Menschen sterblich. Nur durch die Äpfel der Idun halten sie sich jung, bis fast alle von ihnen während des Untergangs der Welt (Ragnarök) getötet werden. Asgard befindet sich in der Himmelsebene der Weltenesche Yggdrasil, die wiederum in einzelne Bereiche unterteilt ist. Asgard wird auch als Himmelreich bezeichnet, das sich aus zwölf prunkvollen, mit Edelsteinen und aus Gold bestehenden Palästen zusammensetzt (nach der Snorra-Edda wohnen zwölf Asen in Asgard). An den Decken sollen sich die strahlenden Schilde der Helden befinden, die Gitter der Paläste bestehen aus goldenen Speeren.

Odin

... auch Wotan, ist der höchste der Götter (Gottvater/Allvater) und Oberhaupt der Asen. Er gilt als Kriegs- und Todesgott, aber auch als Weiser und Gott der Poesie und Magie. Verheiratet ist er mit der Asenkönigin Frigg, hat aber gleichzeitig viele Gattinen und Geliebte. Häufig wird er mit seinem Speer Gungnir, seinen Raben Hugin und Munin (Gedanke und Erinnerung) sowie seinen beiden Wölfen Geri und Freki (Gierig und Gefräßig) dargestellt. Auch besitzt er den goldenen Zwergen-Ring Draupnir und den  abgetrennten Kopf des Riesen Mimir, der die Zukunft vorhersagen kann. Odin reitet jeden Morgen mit seinem achtbeinigen Pferd Sleipnir über den Morgenhimmel, um mit seinen treuen Raben Munin und Hugin die Welt zu erkunden. Von seiner Himmelsburg Gladsheim aus regiert er Asgard. Sein zweiter Palast Walaskialf ist für die Versammlungen des Götterrats reserviert, wo auch sein berühmter Thron Hlidskialf  steht. Sein Wissen und seine seherischen Kräfte bezieht er aus einem Trunk von Mimirs Brunnen der Weisheit am Lebensbaum Yggdrasil - dafür hat er dem Jöten sein Auge verpfändet und wird deshalb auch der Einäugige genannt. Auch die Magie der Runen hat er von Mimir gelernt. Odin kann außerdem seine Gestalt wechseln und trägt einen Wunschmantel, der ihn an die Orte bringt, an denen er sich aufhalten will, und mit dem er sich unsichtbar machen kann.

Thor

... auch Donar, ist nach Odin der oberste und gefürchteste der Götter. Er ist der Gott des Donners und der erste Sohn Odins und Jörd (der Erde). Seine Ehefrau ist die schöne goldhaarige Sif, mit der er eine Tochter, Thrud, hat. Mit der Jotenjungfrau Jarnsaxa hat er außerdem zwei Söhne, Magni und Modi. Thors Reich heißt Thrudvangr, und der Palast darin, Bilskirnir, ist mit 540 Sälen der größte, der je in Asgard erbaut worden ist. Über den Wolken fährt Thor einen donnernden Wagen, der von zwei Ziegenböcken (Tanngniostr und Tanngrisnir) gezogen wird. Er besitzt einen Hammer (Mjölnir), den er mit seinen Eisenhandschuhen energisch umfasst und der die Fähigkeit hat, nach seinem Wegschleudern immer wieder zurück zu kommen und sein Ziel nie zu verfehlen. Wenn Thor seinen Kraftgürtel Megingjarder umschnallt, verleiht ihm dies außerdem doppelte Kraft. Er beschützt sowohl Götter als auch Menschen gegen die feindlichen Jöten. Zu den beliebtesten Geschichten zählt Thors Kampf mit der Midgartschlange, ein eiterspeiender Wurm draußen im Ozean, der so lang ist, dass er den Erdkreis umfasst.

Thrud

... Thrud ist in der nordischen Mythologie die Tochter der Sif und des Donnergottes Thor. Von ihr ist kaum etwas bekannt. Weil in den Quellen neben Thrud sonst von keiner weiteren Tochter Thors die Rede ist, wird allgemein vermutet, dass es sich im Alwis-Lied wahrscheinlich um Thrud handelt - im Lied selbst wird Thors Tochter jedoch nicht namentlich erwähnt. Unter den germanisch-nordischen Göttinnen gilt Trud als Tochter der Erntegöttin Siff und des Donnergottes Thor auch als Göttin der Vegetation, der Stärke und Kraft. Das Wort Thrud kommt vermutlich von Throta, Stärke, Kraft (altnordisch rúðr  »Kraft«).

Hermodur

... ist der Götterbote der Asen und vergleichbar mit dem griechischen Hermes und römischen Merkur. Hermodur ist der Sohn Odins und Friggs, seine Brüder sind Baldur und Hödur. Mit Bragi zusammen begrüßt er die in Walhalla ankommenden Einherier, als deren Führer er auch gilt. Als Friggs Bote reitet er auf Odins Pferd Sleipnir während neun Nächten in das Totenreich Hel, um - erfolglos - dessen gleichnamige Göttin zur Herausgabe des ermordeten Baldur zu bewegen. Diese Erzählung wird auch als "Hermods Helritt" bezeichnet.

Sleipnir

... Sleipnir (etwa "der Dahingleitende") ist in der nordischen Mythologie das achtbeinige Pferd Odins. Seinen Namen erhielt es, weil es zu Lande, zu Wasser und in der Luft gleichermaßen "dahingleitet". Das erstaunliche Pferd entstammt einer List Lokis, der es als Stute verwandelt zusammen mit dem Hengst eines Riesen zeugte und es später Odin vermachte. Auf Sleipnir kann Odin durch alle Welten reiten. Sleipnir ist nach einer Sage auch der Grund, warum die Ásbyrgi-Schlucht auf Island die Form eines Hufeisens hat. Als Odin mit ihm über die Wüsten der Arktis ritt, soll das Pferd ausgerutscht sein und einen Fuß auf Nordisland gesetzt haben. Deshalb wird die Schlucht gelegentlich auch als Odins Fußabdruck bezeichnet.

Alwis und Lioba

Der Zwerg Alwis (der Allweise oder Allwissende) taucht nur in dem Alwis-Lied der Lieder-Edda auf. Im Dvergatal (altnordisch für "Zwergenzählung"), einer sieben Strophen langen Aufzählung von etwa siebzig Zwergennamen der Völuspá (10–16), kommt sein Name nicht vor. Das Zwergenmädchen Lioba ist frei erfunden und hat, ihrer Rolle in "Alwis der Zwerg" gemäß, einen Namen bekommen, der mit "die Liebe, die Liebende oder die Liebe" übersetzt wird (gotischer Ursprung).

Zu den Zwergen der Edda siehe auch: Über Zwerge

 

 

Bild Yggdrasil: Norman B. Leventhal Map Center at the BPL, Yggdrasill, the mundane tree (26938965955), CC BY 2.0
Bild Odin: Ludwig Pietsch, Odin (Manual of Mythology), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Bild Thor: A painting by Max Friedrich Koch - Donar-Thor, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons